Ein paar Worte zu Midjourney und Konsorten

Vorweg: in dem folgenden Text beziehe ich mich nur auf Gebrauchskunst – die freie Bildende Kunst will ich hier ausklammern, weil sie überwiegend in Form von greifbaren Originalen existiert und höchstens äußerst peripher betroffen sein dürfte.

Seit Wochen schleiche ich um das Thema herum. Von Tag zu Tag steigt die Zahl und Streuer der Midjourney-Elaborate, mit denen ich konfrontiert werde.

Vor ein paar Monaten war es eine andere KI, die viral ging, und mir schlichtweg den letzten Nerv raubte, aber die kam wegen ihres Eigencharakters einer dämlichen Spielerei gleich, die man nicht ernst zu nehmen brauchte.

Doch Midjourney ist anders. Midjourney bietet eine Qualität und Finesse, die mich schlichtweg mit den Ohren schlackern lässt. Ich bin baff, was sich damit generieren lässt. Ich bin zutiefst beeindruckt und kann kaum glauben, was ich da sehe.

Und ich bin entsetzt, ich bin unendlich traurig und extrem wütend. Es scheint keine Rolle mehr zu spielen, ob man sich durch Ausbildung, jahrelange Übung und das Leben an sich ein visuelles Verständnis erarbeitet hat. Ein paar Worte reichen und die KI generiert ein Bild mit einer Qualität, die selbst erfahrene Künstler:innen nur in Ausnahmefällen so von Hand auf den Malgrund bannen können (und dafür Tage, Wochen und Monate brauchen, anstatt ein paar lächerliche Rechenprozesse im Sekundentakt …).

Wer ist hier noch Urheber, wer darf beanspruchen zu behaupten, sie oder er habe dieses Bild gestaltet? Die Person, die ein paar Worte eingibt und vielleicht nachher noch was an den Farben dreht, wie es einfach jeder mit seinen Fotos auf Insta macht? Darf sich diese Person Künstler:in nennen?

Nicht nach meiner Auffassung. Das Künstler ist hier die KI und die Person schmückt sich mit fremden Federn.

Für mich war es damals schon ein Spagat, mich der digitalen Malart, dem Computer und dem Grafiktablett zuzuwenden, weil ich keine andere Möglichkeit sah, professionell ein Bein auf den Boden zu bekommen. Noch schlimmer wurde es mit der Verwendung von Fotos. Jahrelang waren es nur meine eigenen, dann aber doch auch immer wieder zumindest Details aus Datenbanken. Und schon damals hatte ich eine riesige Aversion gegen kaschierende Filter, die ich deswegen auch nur in ganz wenigen Ausnahmefällen verwendet habe.

Und nun KIs?

Dafür wird für mich eine Grenze überschritten, die es nicht geben dürfte, weil es in meinen Augen eine unfassbare und zersetzende Gefahr für die Kunst an sich darstellt.

Da müsste am Ende die Kunst unter Milieu-Schutz gestellt werden, sonst stirbt das Handwerk, die Demut, die Wertschätzung. Einfach alles, was die Seele der Kunst ausmacht.

Und darüber hinaus drohen noch weit greifbarere Gefahren und Entwicklungen. Ich glaube nicht, dass solcherlei Bilder ungebremst den Markt überschwemmen werden, aber sie werden einen Teil erobern. Und es wird unendlich viele geben, von unendlich vielen Menschen, die ja nichts anderes zu machen brauchen, als sich ein paar Worte zu überlegen. Die Kreativität und die Qualität kommen von der KI …

Also sagen wir mal, solche Elaborate würden innerhalb der nächsten zehn Jahre 30% des Marktes an Gebrauchsgrafiken vereinnahmen.

Sagen wir mal, sie würden mir 20% meiner Aufträge abspenstig machen. Ich bin Geringverdiener. Je nachdem wie aufwendig meine Bilder sind, verdiene ich oft nicht mehr als 3 bis 4 Euro die Stunde. Fällt ein Fünftel weg, wäre ich bereits in schlimmen existenziellen Nöten und müsste zumindest wieder Nebenjobs aufnehmen, wenn nicht eben sogar schon mein Lebensmodell komplett beerdigen, größtenteils mit der Kunst aufhören und mir einen anderen Job suchen.

Wenn die KI-Kunst unreflektiert und hürdenlos in den Markt strömt, wenn da keine kritische Gegenbewegung bis hin zu einer lautstarken Ächtung aufgebaut wird, wird sie etliche Existenzen einfach platt walzen und den ohnehin schon hart umkämpften Markt der „hungerleidenden“ Künstler:innen zur Aderlass-Folterkammer pervertieren.

Doch das wäre nur eine unbedeutende Momentaufnahme. Viel drastischer, viel desaströser und unverantwortlicher scheint mir die langfristige Auswirkung und der Blick in die Zukunft.

Was ist mit dem Nachwuchs? Warum sollte man noch Zeichnen und Malen lernen, warum jahrelang Materialien ausprobieren und zur Schule gehen, sich kontemplativ dem eigenen Werk widmen, wenn es reicht zehn Worte zu tippen, ein paar Filter drüber laufen zu lassen und an den Farben zu drehen?

Ich sehe KI-Kunst als Tor zur Hölle, das uns kreativ unfruchtbar macht und eigene Sichtweisen im Keim erstickt. Es werden nicht nur etliche Leute ihre Jobs verlieren oder ihre Karriere an den Nagel hängen müssen, weil sie nicht mehr mithalten können und durch KI-Schleuderangebote weggeschwemmt werden, die zarte und haptische Pflanze der visuellen Kunst an sich wird extrem verkümmern, wenn keine Schutz- und Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

KI-Kunst ist die BORG. Sollte es so weit kommen, werde ich lieber meinen Hut nehmen, dem Zirkus den Rücken kehren, mir irgendeinen Job suchen und nur noch für mich malen.

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Über Timo Kümmel

Ich bin freiberuflicher Illustrator und durfte bislang zahlreiche Veröffentlichungen im In- und Ausland verzeichnen. Mein Spektrum reicht von allen Spielarten der Phantastik bis hin zu Spannungsthemen und Kinder-/Jugendbüchern. Ich wurde bereits mehrfach für den Deutschen Phantastik Preis als bester Grafiker nominiert, ferner für den Vincent-Preis und den Kurd-Laßwitz-Preis, den ich 2011 und 2015 gewinnen konnte. Für Anfragen stehe ich jederzeit gerne zur Verfügung!
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3 Antworten zu Ein paar Worte zu Midjourney und Konsorten

  1. Daniela Knor schreibt:

    Volle Zustimmung in vielen Punkten! Es beginnt ja schon viel früher: Wenn von Eltern- und Pädagogenseite nicht bewusst gegengesteuert wird, dürften zukünftige Kindergenerationen nicht einmal mehr zeichen lernen, weil man ihnen gleich ein Tablet in die Hand drückt, auf dem sie mit ein paar Klicks ihre Bilder entstehen lassen. Genau wie das Tippen niemals das Schreiben mit der Hand ersetzen kann, weil im menschlichen Gehirn Motorik und Lernen verknüpft sind, darf man Kindern nicht das künstlerische Gestalten mit den Händen vorenthalten. Daher hoffe ich, dass wenigstens diese Förderung daheim und in Bildungseinrichtungen bleiben wird und wer als Kind Freude daran entwickelt, wird hoffentlich auch später noch Kunst ausüben, um sich selbst auszudrücken, wie es schon immer das Bedürfnis von Künstlern war.
    Was die Aussichten, mit „Gebrauchskunst“ Geld zu verdienen, angeht, bin ich dagegen pessimistisch. Ich glaube nicht, dass sich der Siegeszug der KI-Elaborate aufhalten lassen wird, weil zu oft einfach ums Geld geht. Dieses Problem teilen visuelle Künstler allerdings mit Angehörigen erstaunlich vieler anderer Berufe, deren Tätigkeitsfelder in naher Zukunft durch Digitalisierung wegfallen oder von Robotern ausgeübt werden dürften. Die einzige gerechte Lösung, die für diesen massiven Wegfall von Arbeitsplätzen bislang im Raum steht, ist das Bedingungslose Grundeinkommen. Je mehr Branchen betroffen sind, desto mehr steigt die Zustimmung in der Gesellschaft für dieses Modell an. Ich halte das sogar für einen Befreiungsschlag, der gerade Künstlern eine bislang ungekannte Freiheit verschaffen würde, denn sie wären nicht mehr darauf angewiesen, ausbeuterische Aufträge mit einem „Stundenlohn“ von 3 oder 4 Euro anzunehmen (mein Stundenlohn als Autorin sieht übrigens oft genauso aus). Stattdessen könnten wir uns auf das konzentrieren, was uns am Herzen liegt. Wir könnten all jene Projekte in Angriff nehmen, die wir uns verkneifen, weil uns niemand dafür bezahlen will oder weil der Aufwand so groß wäre, dass es sich niemals rechnet. Dabei würden nicht immer Sixtinische Kapellen oder Epen wie von Homer entstehen, aber wir hätten die Freiheit, es zumindest zu versuchen. Deshalb wäre ich sehr dafür, diesen Weg einzuschlagen.

    Kommt es jedoch nicht zu einer solchen Lösung, würde sich die Menschheit also tatsächlich in weiten Bereichen überflüssig machen, ohne die Existenz des Einzelnen abzusichern, dürften sämtliche Dystopien der SF-Literatur Realität werden.

    • Timo Kümmel schreibt:

      Oh ja, deine Gedanken zur Entfremdung teile ich vollauf und kann auch nur darauf hoffen, dass hier ein gesunder Mittelweg etabliert wird, um junge Menschen für die zunehmend digitalisierte Welt zu wappnen, ihnen gleichzeitig aber auch die Werte und Erfahrungen von natürlichen Formen des Handwerks, Gestaltens und Erschaffens zu vermitteln. Denn ganz genau wie du es sagst: ohne wertschätzende und regulierende Lenkung im Hintergrund, laufen wir Gefahr, die Bindung zum Individuum, zur Natur und uns selbst zu verlieren.

      Und auch das bedingungslose Grundeinkommen halte ich für einen zivilisatorischen Fortschritt, der dringend notwendig ist und endlich vorangebracht werden sollte – und uns in Bezug auf die geistige Gesundheit, den Raubbau an Menschen, und deren nicht durch existenzielle Zwänge bestimmten Entwicklung, einen Bärendienst erweisen würde. Mein Leben wäre ganz anders verlaufen, wenn ich eben nicht tagein tagaus ums finanzielle Überleben hätte kämpfen müssen …

  2. Pingback: Das Finale der Spendenaktion! |

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